Nur in Deinem Kopf
Nur in Deinem Kopf
Jonah Lehrer und der Hochmut
Donnerstag, 2. August 2012-KW31
Jonah Lehrer hat viel erreicht: er war im Labor von Eric Kandel, warf sich aber dann ins Schreiben. Sein Blog Frontal Cortex begann bei den Science Blogs, zog um zu Wired und landete im Mai mitsamt Autor beim New Yorker – der Himmel des amerikanischen Journalismus. Zu hören war Lehrer im RadioLab, drei Bücher hat er veröffentlicht. Was er bloggte war gut, was er in Buchform goss war mir – soweit ich es mitbekommen habe – ein wenig zu seicht.
Sei´s drum, Jonah Lehrer ist weg vom Fenster. Zum einen hat er nach dem Umzug zum New Yorker eigene Posts auf seinem Blog recycelt. Dafür musste er sich entschuldigen. Die Todsünde allerdings war, dass er in seinem letzten Buch über Kreativität ausführlich Bob Dylan zu Wort kommen lies. Mit Worten, die der so nie gesagt hatte. Als das mal aufgeflogen war – und Lehrer muss sich recht blöd angestellt haben – war die Welt beleidigt. Seinen Job beim New Yorker war er los, klar. Dass aber sein Verleger sämtliche Exemplare des Kreativitäts-Buches vom Markt nahm, die e-bookischen gleich mit und auch alle verkauften Exemplare – bis dato 200.000 – zurückkaufen will ... damit war nicht zu rechnen.
Ich war seit Jahren täglicher Besucher auf Jonah´s Blog. Auch wenn mir die Posts beim New Yorker bekannt vorkamen und recht flach waren – irgendwie gehörte er zu meiner Familie. Nachdem drei, vier Wochen auf Frontal Cortex nix los war, fing ich an zu googeln, und seitdem beobachte ich den Shitstorm, den Jonah erlebt. Er selbst ist abgetaucht, aber es gibt solch schmalztriefende Scheißigkeiten wie diese hier, die mir insgesamt sogar zuzunehmen scheinen. Gängiger Tenor: jung, gutaussehend, das passt in unsere Gesellschaft und jetzt sehen wir, was wir davon haben.
Dieser Moralismus geht mir auf den Keks. Gut, es war Bob Dylan. Majestätsbeleidigung, für manche. Und auch gut, Jonah scheint noch mehr Mist gebaut zu haben. Aber wer sich in seine Schuhe stellt wird feststellen, dass dieser Mann seit Jahren zuverlässig einen enormen kreativen Output liefert, mit einer thematischen Bandbreite, die meiner sehr nahe kommt. Ich versuche gerade auch, ein Buch zu schreiben. Wer wie er dazu noch so viele Projekte, Vorträge, Auftritte, Artikel im Kopf hat, und ein Kind zuhause, dem kann der Überblick durchaus abhanden kommen. Und die Dylan-Quotes – vermutlich hat er selbst schon über die Tücken der Kreativität geschrieben. Übrigens: wenn das Kind zahnt, vergebe ich ihm alles sofort.
Kurz: Ich halte all das für übertrieben und gehyped.
UPDATE: Aber vielleicht bin ich vorschnell – Monate später bei Slate sieht das doch recht ernst aus.
Wer sich ein wenig in den US-amerikanischen Medien zum Thema Hirn bewegt hat, kennt Jonah Lehrer. Momentan hat er mächtig Ärger, weil er Zitate erfunden hat und auch plagiiert haben soll. Zu Recht? Das treibt mich gerade um